Warum „Fuck ups“ und Gründungsmentalität zusammengehören.
Jan-Philipp Mai von JPM Silicon berichtet über die Insolvenz als junger Unternehmer.
Jan-Philipp Mai | Foto: Julia Lemke
Rückschläge und eine reflektierte Fehlerkultur gehören zum Entwicklungsprozess eines jeden Startups dazu. Denn laut Expert:innen scheitern neun von zehn Startups in den ersten drei Jahren1. Und auch Unternehmen, die es darüber hinausschaffen, sind nicht vorm Scheitern geschützt – zum Beispiel, wenn die erhoffte Anschlussfinanzierung ausbleibt.
In unserer Rubrik #Fuckups sprechen wir mit High-Tech-Gründer:innen aus der Region über Ihre Rückschläge – angefangen bei unerwarteten Hürden, ausbleibenden Investor:innen bis hin zur wohl größten Angst bei der Gründung: dem Insolvenzverfahren. Diesen Prozess musste der erste Gründer in unserer Rubrik, Dr.-Ing. Jan-Philipp Mai von JPM Silicon aus Braunschweig, bereits durchlaufen und spricht mit uns über seine wohl schwerste Zeit als junger Unternehmer.
Mit den Erfahrungsberichten möchten wir jungen Entrepreneur:innen Mut machen, dass Scheitern nicht das Ende bedeutet. Im Gegenteil: „Failosophie“, die Kunst mit Fehlern umzugehen, sollte kein Tabuthema sein und offen kommuniziert werden. Denn eines ist sicher: Nur so kann aus den Rückschlägen für die Zukunft gelernt werden.
Laut dem Deutschen Start-Up Monitor2 haben knapp 40% der befragten Gründer:innen vor ihrem aktuellem Startup bereits gegründet. Die meisten von Ihnen haben das vorherige Unternehmen zumindest anteilig verlassen, während etwa ein Drittel noch Anteile am ehemaligen Startup hält. In jedem fünften Fall wurden die vorherigen Startups liquidiert (18,3%) oder sie gingen sogar insolvent (3,2%). Dass dieses vermeintliche Scheitern, zum Beispiel wegen Problemen bei der Finanzierung, kein Grund ist aufzugeben, verdeutlicht der High-Tech-Gründer Jan-Philipp Mai.
Der 33-Jährige war schon seit seiner Schulzeit von Silizium fasziniert, nahm an Wettbewerben wie Jugend forscht teil und entschloss sich für ein Maschinenbau-Studium sowie eine anschließende Promotion an der TU Braunschweig. Im Jahr 2010 gründete er die JPM Silicon GmbH, das sich zunächst auf die Gewinnung von Silizium spezialisierte – ein Rohstoff, welcher beispielsweise als Legierungselement, in chemischen Produkten, Computerchips oder Solarzellen Verwendung findet. Das vielversprechende Unternehmen konnte rasch Investor:innen für sich begeistern, sodass Mai kurz nach der Gründung bereits 1,3 Million Euro Venture Capital einsammeln konnte. Die Höhe des damaligen Beteiligungskapitals, welches sich aus drei Investor:innen zusammensetzte, war vor allem den enormen Ausgaben im High-Tech Bereich zuzuschreiben, erklärt Mai. Besonders bei der Entwicklung von innovativen Technologien müsse viel Geld in die Hand genommen werden und die Gefahr zu scheitern ist sehr groß.
Insolvenzverfahren wegen fehlender Anschlussfinanzierung
Dass eine fehlende Anschlussfinanzierung trotz der Aussicht auf einen potenziellen Kooperationspartner das noch junge Unternehmen in die Insolvenz führen würde, hätte er damals nicht für möglich gehalten, berichtet der Silizium-Experte rückblickend.
„Wir waren damals in Gesprächen mit einem strategischen Partner, einem großen Konzern, mit dem wir gemeinsam das Recyclingthema voranbringen wollten. Die Beratungen, wie wir uns einig werden oder ob wir Teil des Konzerns werden würden, zogen sich erst in den Herbst, dann in den Winter. Und aus Winter wurde Frühjahr. Es kam zu sehr langen Abstimmungsrunden mit vielen Hierarchien und das kostete immer mehr Zeit. Irgendwann kamen wir an den Punkt, wo wir uns eingestehen mussten, dass wir nur bis Ende des Jahres mit dem Geld geplant hatten. Und dann hieß es: Wie bauen wir jetzt eine Brücke für ein oder zwei Monate? Denn sobald ich ein Team habe und Mitarbeiter:innen einstelle, kostet das jeden Monat einfach richtig Geld.“
Die erhoffte Überbrückungsfinanzierung bis zur finalen Einigung blieb schließlich aus. Das Startup konnte seine laufenden Kosten, die zwar gemessen an dem Gesamtinvestment eher gering erschienen, nicht mehr bezahlen. „Am Ende steigerte sich das dann über die Wochen immer so weiter und die verschiedenen Investor:innen haben sich gegenseitig den Ball zugeschoben, wer als erstes zuckt und die anderen rettet. Bis ich irgendwann die Reißleine ziehen musste und gesagt habe: Pass auf, entweder heute oder gar nicht mehr“, schildert Mai die damalige Situation. Der junge Gründer entschied sich schweren Herzens für den Gang zum Amtsgericht Braunschweig, um den Brief für ein Insolvenzverfahren einzuwerfen. Nach diesem schwierigen Schritt stand er jedoch vor der nächsten Entscheidung: Wie sollte es jetzt weiter gehen?
„Es ist nicht gescheitert, weil es eine dumme Idee war, sondern die Umstände passten eben nicht.“
Für Jan-Philipp Mai war schnell klar: Eine grüne Energieversorgung benötigt perspektivisch gesehen auch nachhaltig erzeugte Rohstoffe. Seine Gründungsidee war zukunftsweisend, seine Leidenschaft für die Thematik ungebrochen, die Arbeit machte ihm Spaß und es gab grundsätzlich einen Markt für Silizium, wie die Aluminium-, Chemie- und Solarindustrie.
Heute, drei Jahre später, ist er sich sicher: „Es ist nicht gescheitert, weil es eine dumme Idee war, sondern die Umstände passten eben nicht.“ Der Gründergeist, den das Thema Solarenergie schon seit fast 20 Jahren begleitet, fasste den Entschluss, es das nächste Mal einfach anders anzugehen. Die Technologie besser zu schützen und nicht in die Liquiditätsfalle zu tappen, waren hierbei die wichtigsten Lehren aus der Zahlungsunfähigkeit. Er kaufte die Namensrechte und die Technologie zurück, strukturierte sich neu und fokussierte sich verstärkt auf Projekte. Über zehn Jahre später ist Mai immer noch im Startup-Business unterwegs und beschäftigt etwa zehn Mitarbeiter:innen. Er vereint heute in seinem Unternehmensverbund, der JPM Technologies GmbH, die Tochterunternehmen Silicon Suppliers GmbH, die für den Handel mit Silizium und verwandten Rohstoffen zuständig ist, eine Ausgründung in Hong Kong, die sich der Planung und dem Aufbau eines Recyclingwerks für etwa 10 Tausend Tonnen Silizium widmet sowie seit 2021 die Solar Materials GmbH, welche sich im Recycling von Solarmodulen positioniert.
„Ich bereue nichts“
Auch wenn für Mai seine heutigen High-Tech-Unternehmen nicht der erste Gründungsversuch waren, ist doch eins gleichgeblieben: Seine Antriebsvision, dass Strom aus Solarzellen der richtige Weg für eine nachhaltige Energieversorgung ist. Er betont, dass er damals viel Geld verloren habe, aber eben auch als Unternehmer sowie Privatperson dazu gelernt habe. Er bleibe heute im Bereich des Möglichen und Planbaren und überschreite nicht mehr die für ihn kritische Linie. Zwar reflektiert er rückblickend: „Möglicherweise hätte ich damals ein dickeres Fell zeigen müssen und das trotzdem weiter durchziehen sollen. Aber zu dem Zeitpunkt und in der Position war ich als junger Unternehmer noch nicht erfahren genug, dass ich das hätte stumpf aussitzen können.“ Die wertvollen Erkenntnisse, die er aus den Höhen und Tiefen während der Gründung mitnehmen konnte, möchte der Wahlbraunschweiger nicht missen, denn:
„Wenn mir das jemand von außen erzählt hätte, weiß ich nicht, ob ich das so aufgenommen hätte, ohne die Erfahrung selbst gemacht zu haben. Heute kann ich sagen: Ich bereue nichts.“
Neben seinen unternehmerischen Tätigkeiten zwischen Braunschweig und Hong Kong engagiert sich Mai ehrenamtlich als Mitglied des Beirats für die Startup-Plattform des Landes Niedersachsen, um mit Gründungsbegeisterten seine Erfahrungen zu teilen, die Feedbackkultur in der nach außen glitzernden Startup-Welt zu stärken sowie die Gründungsszene in Niedersachsen und Braunschweig nach vorne zu bringen.
Siliziumblock | Foto: Katalin Weinreich
JPM Silicon
Gründer:
Dr.-Ing. Jan-Philipp Mai
Gründungsjahr:
2010
Branche:
Erneuerbare Energie, Solarenergie, Solarsilizium
Weitere Infos:
JPM Silicon – Profilseite
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