„Das, was wir in den Medien sehen muss die Diversität und Vielfalt widerspiegeln, die wir erreichen möchten.“

Seit Juli 2022 ist Dr. Laila Al-Halabi Frenzel alleinige Geschäftsführerin der Abcalis GmbH, einer der vielversprechendsten Biotech-Gründungen aus der Technischen Universität Braunschweig. Das junge Unternehmen, das Ende 2019 mithilfe des EXIST-Stipendiums gegründet wurde, ist auf die vegane Antikörperproduktion für Forschung und In-vitro-Diagnostik spezialisiert. Wir haben mit der Gründerin und Co-Initiatorin der Equality Entrepreneurship Initiative aus Braunschweig über ihren Werdegang gesprochen, erfahren warum sie sich für Chancengleichheit einsetzen möchte und wie sie sich selbst als Biotech-Expertin in bestimmten Situationen in der Branche mit Geschlechterunterschieden konfrontiert sieht.

vom 8. September 2022

Wie hat sich Abcalis seit der Gründung 2019 entwickelt und was sind eure nächsten Ziele?

Laila: „Wir haben Abcalis Ende 2019 aus dem Institut für Biochemie, Bioinformatik und Biotechnologie der TU Braunschweig gegründet. Im ersten Pandemiejahr 2020 haben wir als biotechnologisches Startup – im Gegensatz zu vielen anderen Firmen – nicht unter den Folgen von Corona leiden müssen. Im Zuge der Krise haben wir unser Produktportfolio um Coronavirus-spezifische Antikörper erweitert und dabei weniger in andere Bereiche investiert, was wir wiederum im letzten Jahr zu spüren bekommen haben. Dementsprechend war 2021 ein starker Fall, den wir aber letztendlich genutzt haben, um die Grundsteine für unsere Ziele in 2022 zu legen. Rückblickend würde ich sagen, dass es in unserer Situation ca. 2 Jahre gedauert hat, bis der Stein für das eigene Startup ins Rollen kam. Insbesondere im Biotech-Bereich kann der Entscheidungs- und Finanzierungsprozess unserer Kund:innen sehr lange dauern bis ein Projekt zum Abschluss kommt. In Zukunft verfolgen wir weiterhin ein hybrides Business-Modell: Einerseits sichern wir unsere Liquidität durch unsere breite Palette an individuell anpassbaren rekombinanten Antikörper-Services und anderseits können wir durch diese finanziellen Mittel unsere Produkte weiterentwickeln. Unser langfristiges Ziel ist es, für den Großteil der Antikörper auf dem Markt eine tierversuchsfreie, vegane Alternative zu schaffen.“

Was war deine Motivation ein eigenes Startup zu gründen?

Laila: „Ich glaube, dass das Startup-Mindset schon immer irgendwo in mir geschlummert hat. Wenn du die inneren Voraussetzungen – selbstständig sein und Verantwortung übernehmen zu wollen – mitbringst, und das dann mit der Leidenschaft für deine Disziplin und dem Anspruch wirklich etwas verändern zu wollen einher geht, dann ist es keine Frage der Motivation mehr, sondern der Umsetzung. Ich habe die Forschungsgruppe um Prof. Dr. Dübel, welcher in den letzten dreißig Jahren maßgeblich die bei Abcalis eingesetzten Phagen-Display-Technologie mitentwickelt hat, seit meiner Promotion an der TU Braunschweig begleitet. Durch den stetigen Kontakt, viel Vertrauen und eine gewisse Hartnäckigkeit konnten wir letztendlich die Realisation der Abcalis-Gründung umsetzen. Letztlich war die EXIST-Forschungstransfer-Förderung die Chance unsere Idee in die Tat umzusetzen. Da die Gründung im Biotech-Bereich sehr kostspielig ist, weil unter anderem eine vollständige Laborausstattung mit S1-Zulassung benötigt wird, haben wir stark von der Fördersumme in Höhe von letztlich 1,3 Millionen Euro profitieren können.“

ehem. Geschäftsführer Pascal Milfeit und Geschäftsführerin Laila Al-Halabi Frenzel der Abcalis GmbH

Du bist seit Anfang Juli 2022 alleinige Geschäftsführerin, ihr wart vorher zu zweit. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Laila: „Nach der Gründung war ich in Elternzeit und habe mir die Geschäftsführung mit einem Kollegen mit wirtschaftlichem Hintergrund geteilt. Seine Expertise war vor allem für den Aufbau der ökonomischen Strukturen sehr wichtig für uns, ich habe eher operativ bei den einzelnen Projekten mitgewirkt und war dann später noch in Teilzeit in einer anderen Anstellung. Wie schon vorher geplant hatten wir im Zuge des Auslaufens der EXIST-Förderung uns gemeinsam dazu entschlossen diesen klaren Schnitt zu nutzen, um uns personell etwas umzustrukturieren. Seitdem bin ich vollständig drin, sowohl wissenschaftlich, als auch wirtschaftlich, mit allem Freud und Leid. Aber es überwiegt der freudige Anteil.“

Was sind deine Tipps für andere Gründer:innen?

Laila: „Angehenden Gründer:innen möchte ich raten immer offen gegenüber anderen Menschen zu sein, vor allem gut zuzuhören, und zu versuchen, sich in die Probleme, bzw. Standpunkte des/der anderen hineinzufühlen. So viel Wissen wie möglich anzusammeln, und auch immer zu hinterfragen. Habt den Mut nach Hilfe zu fragen und macht nicht alles alleine, denn das schafft niemand.“

 

Warum engagierst du dich neben deinem Startup für Equality Entrepreneurship und was möchtest du mit der Initiative erreichen?

Laila: „Mit Equality Entrepreneurship möchte ich Menschen helfen, die aus unterschiedlichen Gründen eine ungleiche oder ungerechte Behandlung erfahren haben. Und mindestens möchte ich helfen, eine Anlaufstelle für junge Gründer:innen zu bieten, die im Gründungskontext Ungleichbehandlung erfahren haben. Ich möchte Menschen ermutigen ihrem Wunsch zu Gründen nachzugehen, selbst ein Vorbild sein bzw. den Zugang zu Vorbildern ermöglichen.“

 

Laila, du hast selbst einen Migrationshintergrund und hast zudem während deiner Schwangerschaft gemeinsam mit deinem Team gegründet. Hast du während des Gründungsprozesses besondere Schlüsselmomente erlebt, wo du dich als Gründerin aufgrund deiner Herkunft oder deines Geschlechts ungleich behandelt gefühlt hast?

Laila: „Das stimmt, mein Vater kommt ursprünglich aus Syrien und meine Mutter ist Deutsche. In meinem direkten Forschungsumfeld habe ich dahingehend bisher keine negativen Erfahrungen gemacht – wobei ich sagen muss, dass ich aufgrund meines Aussehens vermutlich eher als Deutsche wahrgenommen werde. Und auch in meinem Gründungsteam kann ich mich an keine Situationen erinnern, in denen ich als Frau mit ausländischen Wurzeln oder als Schwangere anders behandelt wurde. Nichtsdestotrotz habe ich als Frau natürlich schon Begegnungen gehabt, wo ich mich trotz meiner Expertise und jahrelanger Erfahrung im Biotech-Bereich weniger ernst genommen gefühlt habe. Beispielsweise erinnere ich mich an eine Situation auf einer Fachmesse, wo ich einem potenziellen Kunden etwas über das Unternehmen erklärt habe und dieser dabei die ganze Zeit den nebenstehenden männlichen Praktikanten angeschaut hat. Auf mich hat das in dem Moment so gewirkt, als würde er sich vergewissern wollen, ob das, was ich erzähle auch richtig ist. Das Phänomen des ‚Male Bonding‘ scheint teilweise intuitiv zwischen Männern zu entstehen und kommt vermutlich grade im technischen Bereich noch mehr zum Vorschein, da nach wie vor Frauen die Unternehmensgründung oder die wissenschaftliche Kompetenz weniger zugetraut wird als den männlichen Kollegen.“

Welche Maßnahmen sind aus deiner Sicht nötig, um zukünftig gleiche Gründungschancen zu fördern?

Laila: „Das Denken und die innere Haltung der Menschen muss gesamtgesellschaftlich z.B. über die Politik und die Medien angesprochen werden. Dabei sind Vorbilder unheimlich wichtig wie auch die öffentliche Darstellung von Gründer:innen in Zeitung, Fernsehen oder Online-Medien. Denn die klassische Rollenverteilungen auf bspw. Titelseiten prägen immer noch stark unsere Wahrnehmung und das muss sich ändern. Das, was wir in den Medien sehen muss die Diversität und Vielfalt widerspiegeln, die wir erreichen möchten.“

Tamie Gillner

Autorin

Tamie Gillner

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